Moderner Nihilismus und das ganze Nichts – Gastbeitrag Henric Wietheger
Anm. Gastbeitrag geschrieben von Henric Wietheger in der Kategorie âJugend und Medienâ.
âDie Kinder finden im Nichts das Gesamte, die Erwachsenen im Gesamten das Nichts.â â Im Religionsunterricht ist mir dieses Zitat des italienischen Dichters Giacomo Leopardi zum ersten Mal begegnet. Damals galt es die Rolle des Kindes in der modernen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts zu beschreiben. Das Gesamte war in diesem Zusammenhang fĂŒr jegliche Deutungs- und InterpretationsansĂ€tze offen.
Mittlerweile ist das Gesamte groĂ geworden, unfassbar groĂ. Was das Leben von Kindern im mehr oder minder zivilisierten Europa heutzutage ausmacht, passt schon lange nicht mehr in den Religionsunterricht. Onlinewelten sind zu einem groĂen Teil dessen geworden, was das Gesamte unfassbar und unlehrbar macht. Subuniversen wie das Social Web trĂŒben die klare Sicht auf das allumfassende Ganze zusĂ€tzlich.
VerstĂ€ndlich, dass der vernunftbegabte Erwachsene Angst um die hilflose Kinderschar hat. Wer kann schon wissen, wann sie sich wo und wie im Internetz verfangen? Die logische Konsequenz aus dieser Angst ist eine Grundskepsis Erwachsener gegenĂŒber allen Webinhalten, die nicht auf den ersten Klick durschaubar sind. FĂŒr mich drĂŒckt sich darin eine Form des modernen Nihilismus aus.
Unterhaltsamer Weise war auch Giacomo Leopardi bekennender Nihilist und so schlieĂt sich der Kreis. Erwachsene sehen auch heute noch im vom Internet geprĂ€gten Gesamten etwas Nichtiges, ein Schreckgespenst der Angst und unbegrĂŒndeten Sorgen. Das bestĂ€tigt auch Sozial- und MedienpĂ€dagoge JĂŒrgen Ertelt bei der diesjĂ€hrigen ârepublicaâ in Berlin: âStatt die Medienkompetenz bei denen zu stĂ€rken, die die Medien neu gestalten können und sollen, zeigen die aktuell verfĂŒgbaren Angebote vor allem immer wieder, wovor wir im Internet Angst haben mĂŒssenâ.
Kinder hingegen gestalten sich ihre Welt, ihr Gesamtes aus ihrer Vorstellung, Fantasie und ihrem Erlebten â In den meisten Erwachsenenaugen so gut wie nichts. Die einzig denkbare Lösung aus dieser Misere ist ein Zusammenspiel von Erwachsenen und Kindern. JĂŒrgen Ertelt: âDamit Jugendliche kompetent im Netz unterwegs sein können, brauchen sie Begleitung, die ihnen hilft, selbstbestimmt LebensentwĂŒrfe auszuhandeln.â
LĂ€sst man Kindern beim Entwickeln Freiraum, unterstĂŒtzt sie dort, wo sie nicht mehr alleine weiter kommen, stöĂt man zu guter letzt womöglich auf Unerwartetes: Kinder spielen lieber als bei Facebook zu chatten.
Henric Wietheger
âJournalismus und PRâ-Student an der FH Joanneum in Graz
Blog: http://henric.mur.at
Twitter: @weiliewei